Viktor Orbáns Notstandsgesetze zu Corona drohen mit mehreren Jahren Haft für die Verbreitung von "Falschnachrichten".

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Journalisten: Ungarns Notstandsgesetz mehr Drohung als GefahrUtl.: Medienvertreter erwarten kein Gefängnisstrafen in nächster Zeit – Strafandrohungen für "Falschnachrichten" sollen Selbstzensur verschärfenBudapest/Wien (APA) –

Unabhängige Journalisten halten das geplante umstrittene Notstandsgesetz in Ungarn eher für eine Drohung an die Adresse der freien Presse denn als eine direkte Gefahr. Das meinten Marton Gergely und Daniel Renyi in einer Online-Pressekonferenz des Presseclubs Concordia am Freitag.

Kommende Woche im Parlament

Die Gesetzesvorlage soll in der kommenden Woche vom ungarischen Parlament verabschiedet werden, in der die rechtsnationale Regierungspartei Fidesz eine Zwei-Drittel-Mehrheit hat. Sie sieht – neben eines zeitlich unbeschränkten Regierens mittels Dekret und damit einer faktischen Ausschaltung des Parlaments – unter anderem auch mehrjährige Gefängnisstrafen für die Verbreitung von "Falschnachrichten" vor.

Sowohl Gergely, Vizechefredakteur der Wochenzeitung "hvg", als auch Renyi, Redakteur des Online-Portals 444.hu, gehen davon aus, dass die Regierungsvorlage problemlos durch das Parlament verabschiedet werden wird.

Die beiden Medienvertreter sehen die geplante Verschärfung des Strafrechts als eine "Waffe, die aber nicht notwendigerweise eingesetzt wird". Sie erwarten daher auch nicht, dass in der nächsten Zeit Journalisten in Ungarn tatsächlich ins Gefängnis gesperrt werden. Vielmehr gehe es darum, die unabhängigen Medien weiter unter Druck zu setzen und sie zur Selbstzensur zu bewegen, sagte Renyi. Regierungschef Viktor Orban habe im Laufe seiner langen Politikerkarriere "gelernt, eine Chance nicht ungenutzt vorbeigehen zu lassen", erinnerte Gergely.

Unsicherheit erhöhen

Allerdings sei durch die Coronavirus-Pandemie auch die Kommunikation der Regierung unsicher geworden. "Der Grund hinter den Drohungen ist Unsicherheit", meinte Renyi. Das betreffe auch die regierungsnahen Medien. "Sie wissen nicht mehr, was sie berichten sollen, wie sie es berichten sollen", so Gergely. Gleichzeitig verzeichneten unabhängige Online-Portale verstärkte Zugriffszahlen: "Auch die Fidesz-Anhänger kommen auf die Internetseiten, die sie vielleicht nicht mögen, wo sie aber Informationen finden oder zumindest die Fragen, die von der Regierung nicht beantwortet werden", berichtet der "hvg"-Vizechefredakteur.

So gäben die offiziellen Stellen in Ungarn keine Informationen über die regionale und die Altersverteilung der Coronavirus-Infizierten bekannt, bemängelten die Journalisten, wohl aber über deren Nationalität. Es sei auch unklar, wo sich die Infizierten befinden, wie viele davon in Heimquarantäne sind, wo sie sich angesteckt hatten – etwa als Saisonniers in österreichischen Skigebieten oder in Italien – oder wie das ungarische Gesundheitssystem überhaupt mit der Situation zurechtkommt.

Auch die Arbeit von Journalisten in Ungarn ist während der Coronavirus-Epidemie wegen des Home Office, der Schulschließungen und der räumlichen Isolation von Kollegen und Informanten erschwert. Gergely, der selbst Vater zweier Kinder im Volksschulalter ist, resümierte: "Es gibt einen unglaublichen Druck auf uns, unsere Arbeit ist stressiger denn je. Die Regierung hat es aber geschafft, alles noch schlimmer zu machen." (APA, 27.3.2020)